Zwischen Innovation, Verstetigung und Internetausfall: Welchen Herausforderungen müssen sich Kommunen stellen und was bringt digitale Teilhabe jungen Menschen in der Kommune? Mit ihrem Beitrag gibt Vanessa Blödorn Einblick in Rahmen- und Gelingensbedingungen, praktische Formen sowie Grundlagen digitaler Partizipation im kommunalen Kontext.
In einer zunehmend digitalisierten Welt, in der junge Menschen ihre Themen finden und ihren Alltag verbringen, stellt sich die Frage, wie Kommunen die Chancen digitaler Formate angemessen nutzen und auf Herausforderungen reagieren können. Wenn das Engagement junger Menschen, die im Alltag selbstverständlich digitale Medien nutzen, in ihrer Kommune genauer betrachtet wird, wird die Bedeutung der Förderung digitaler Teilhabe deutlich erkennbar.
Durch ihr digitales Engagement können Kinder und Jugendliche fehlende Mitwirkungsmöglichkeiten ausgleichen. Es liegt in der Verantwortung der Kommunen, diese Chance zu erkennen und die digitale Teilhabe junger Menschen aktiv zu fördern.
Junge Menschen bringen sich in ihren Kommunen – analog – ehrenamtlich ein, sind aktiv und betreiben Vereinskultur (vgl. BMFSFJ 2017, S. 235–239): in der Freiwilligen Feuerwehr, Sportvereinen und in Jugendgremien. Jedoch sind mancherorts mittlerweile die lokalen Mitwirkungsmöglichkeiten, vor allem in ihrer thematischen Vielfalt, begrenzt: „[Für] ein Viertel der Engagierten kompensiert das digitale Engagement fehlende Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitwirkung vor Ort“ (BMFSFJ 2020, S. 73). Digitale Beteiligungsformate bieten Raum zum Vernetzen und Austauschen sowie Anschluss zu anderen jungen Menschen mit spezifischen (jugendpolitischen) Anliegen. Engagement beim Klimawandel oder Angebote für queere junge Menschen können so beispielsweise mit jungen Menschen anderer Kommunen und Städte besprochen und bearbeitet werden. Weiterhin nehmen durch mediale Berichterstattung globale Themen zunehmend in der persönlichen Relevanz zu, wie die SINUS Jugendstudie (vgl. bpb 2020, S. 405) aufzeigt. Das Gefühl, involvierter zu sein, verstärkt sich, gleichzeitig fehlt jedoch oft die (thematische) Anbindung an die eigene Kommune. „Wenn du medial die ganze Zeit nur globale Themen hast, dann ist klar, dass das auch die größte Rolle spielt“ (Interview Christoph Macholdt, DKJG Thüringen). Insbesondere soziale Medien spielen hierbei eine bedeutsame Rolle, bieten sie doch den Zugang zu den Informationen zu globalen Krisen, Herausforderungen und Möglichkeiten. Dabei zeigt sich an dieser Stelle jedoch auch, was in Kommunen oftmals fehlt: Der Teilhabe von jungen Menschen in Kommunen stehen häufig fehlende Informationsplattformen (Beispiel: Beteiligungskarte MV) entgegen, die Kindern und Jugendlichen lokale Themen und Engagementmöglichkeiten aufzeigen könnten (vgl. Servicestelle Jugendbeteiligung e.V. und Youth Bank Deutschland e.V. 2016, S. 24).
Mit Blick auf Kommunalverfassungen der Länder zeigt sich, dass eine Verankerung von Beteiligung in den letzten Jahren verstärkt stattgefunden hat und weiterhin auf dem Weg ist. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Thüringer Kommunalordnung § 26a von 2021, in der grundlegende Voraussetzungen wie eine angemessene Beteiligung der Zielgruppe festgelegt wurden. Dabei gelten sowohl für die digitale Teilhabe als auch für die digitale Jugendbeteiligung im Wesentlichen die gleichen Standards wie für analoge Formen der Jugendbeteiligung:
Dabei fehlen jedoch oft Spezifikationen für die praktische Ausgestaltung digitaler Teilhabe. Auch die Qualitätsstandards zur Kinder- und Jugendbeteiligung (DBJR und BMFSFJ 2022) definieren Rahmenpunkte für digitale Jugendbeteiligung nicht abschließend, sondern weisen vielmehr auf notwendige Eckpunkte für digitale Plattformen hin. Entsprechend notwendig ist es, dass hier offene Diskussionen mit allen Akteuren geführt werden. Ziel der Diskussionen sollte dabei sein, dass die Akteure in der Kommune fachlich angemessen agieren können. Dazu benötigen sie eine Basis von gültigen Standards und Rechtsgrundlagen, die sie in ihrer Förderung digitaler Teilhabe bestärkt. In diesem Zusammenhang sind sowohl überregionale Regelungen wie die DSGVO als auch lokale Richtlinien wie Kommunalverfassungen wichtige Instrumente. Auch der Austausch zwischen den Akteuren spielt eine wichtige Rolle und dass die Ansprechpersonen digitaler Projekte bekannt sein sollten (DKJS 2014, S. 15). Die Verantwortung für digitale Teilhabe ließe sich dabei, abhängig von den Ressourcen der jeweiligen Kommune, bei verschiedenen Akteuren finden. Dazu zählen u.a. die Kommunalpolitik, die Kommunalverwaltung, Multiplikator*innen wie Fachkräfte und die Zivilgesellschaft. Zudem spielt auch die aktive Teilhabe der jungen Menschen als zentral Beteiligte eine wichtige Rolle.
„Die Kommune [ist] der wichtigste politische Lernort […], an dem sich auch entscheidet, ob junge Menschen tatsächlich als Akteure ernst genommen und in die Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens einbezogen oder nur für politische Zwecke instrumentalisiert werden“ (Fatke 2010, S. 20). Diese Bedeutung erstreckt sich auch auf die digitalen Strukturen in den Kommunen, denn junge Menschen zeigen Interesse daran, ihre digitalen Lebensräume mitzugestalten und sich aktiv zu engagieren (vgl. BMFSFJ 2020, S. 72). Kommunen haben an dieser Stelle die Chance anzusetzen und junge Menschen durch digitale Teilhabe und Jugendbeteiligung aufgrund verschiedener Stärken digitaler Methoden und Formate einzubeziehen, etwa:
(Eine Auflistung findet sich ebenfalls hier: 7 gute Gründe für digitale Jugendbeteiligung)
Um diese Stärken in die Praxis zu implementieren, sind verschiedene Ansätze nutzbar, die in der Kommune herangezogen werden können. Grob zusammengefasst werden können digitale Beteiligungsformate für Teilnehmende (TN) in folgende Kategorien:
Mit diesen Formaten lassen sich vielfältige Projekte umsetzen, und repräsentative Formen (wie Kinder- und Jugendgremien mit und ohne Wahlverfahren) sowie projektbezogene Formen können unterstützt werden (weiterer Hinweis zu Formaten der Kinder- und Jugendbeteiligung in Kommunen: DBJR und BMFSFJ 2022).
Um junge Menschen (in der Kommune) digital einzubeziehen und „um alle gleichermaßen unterstützen zu können, muss das Internet zu einem Raum der digitalen Teilhabe für alle werden“ (BMFSFJ 2018, S. 54). Dafür benötigt es Strukturen und Rahmenbedingungen, insbesondere:
Hier liegt oft auch schon die Herausforderung bei der Umsetzung digitaler Teilhabe: ohne sicheres Internet gibt es keine Videokonferenzen, ohne Technik für alle kein kollaboratives Arbeiten, ohne Multiplikator*innen keine Fortbildung usw. Besonders während der Pandemie wurden „Defizite im Bereich der Digitalisierung, sowohl seitens der Jugendlichen als auch der Verwaltung, aufgetan, welche durch den Ausbau von neuen Infrastrukturen und digitalen Kompetenzen auf allen Seiten abgebaut werden müssen“ (Bertelt et al. 2023, S. 179). Als Beispiel für eine positive Entwicklung zeigt Ilmenau im Ilm-Kreis: „[…] wo mein Heimatgremium ist, haben wir dann eigentlich unsere Sitzung sofort nach Lockdownbeginn auf digitale Sitzungen umstellen können und hatten da eher noch Zulauf, konnten dann auch, […] gut digitale Angebote, digitale Workshops und Demokratietage und so was anbieten. Das ging in ungefähr der Hälfte unserer Gremien [des DKJG Thüringen] gut“ (Interview Christoph Macholdt, DKJG Thüringen).
Digitale Ungleichheiten müssen in den Blick genommen werden.
Um sicherzustellen, dass Kinder dabei nicht aufgrund eines eingeschränkten Zugangs zu technischen Geräten und Möglichkeiten benachteiligt werden (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Kinderinteressen e.V. und Deutsches Institut für Menschenrechte 2021, S. 4), ist es von großer Bedeutung, digitale Ungleichheiten („Digital Divide“) in den Blick zu nehmen. Insbesondere in ländlichen Regionen wird zwar kein signifikanter Unterschied in der Internetnutzung festgestellt, jedoch auf eine leicht schlechtere persönliche technische Infrastruktur hingewiesen (vgl. Stein und Steenkamp 2020, S. 130). Es ist daher wichtig, mögliche negative Auswirkungen aufgrund von technischem Mangel zu beachten, ebenso wie das Fehlen kinder- und jugendgerechter, inklusiver (mehr dazu hier: „Digitale Inklusion von Kindern mit Behinderung“) und partizipativer Methoden in digitalen Anwendungen. Aber auch die mangelnde Berücksichtigung von unterschiedlichen Kompetenzstadien digitaler Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen spielt eine Rolle. Junge Menschen im Zuge der Digitalisierung etwa als „Digital Natives“ zu beschreiben, kann ihnen die Chance auf adäquate Aus- und Fortbildung in Bezug auf digitale Teilhabe nehmen, da zwar der Umgang mit Technik und Anwendungen von einem überwiegenden Teil der jungen Menschen erlernt wird, oft aber der nötige Raum zur intensiven Reflexion nicht gegeben ist. Dadurch sind digitale Beteiligungsmöglichkeiten oft nicht bekannt, was wiederum einen ungleichen Teilhabeanteil junger Menschen in der digitalen Welt verstärkt.
Digitales ersetzt Analoges nicht, doch digitale Möglichkeiten bieten jungen Menschen einen zusätzlichen Weg der Teilhabe, die für bestimmte Themen oder Zielgruppen angemessener sein kann. So fühlen sich junge Menschen in großen Podiumsdiskussionen möglicherweise eingeschüchtert, mit anonymen Chatfunktionen können Fragen aber gestellt werden. Um in diesen Fällen reagieren zu können, sollten in Kommunen Fachkräfte durch entsprechende Fortbildungen (Bsp.: Curriculum Praxis digitale Jugendbeteiligung, #jbjMOOC) gefördert werden. Kommunen als lokale Anlaufstellen mit einer Vielzahl an analogen Aktivitäten haben die Möglichkeit, analoge und digitale Teilhabemöglichkeiten zu verknüpfen. Bereits vorhandene Informationsplattformen können als Ausgangspunkte für eine Stärkung digitaler Teilhabe genutzt werden, und analoge Veranstaltungen können durch die Bewerbung digitaler Plattformen, beispielsweise über QR-Codes, den Einstieg in die digitale Teilhabe erleichtern (vgl. Franzl 2014, S. 25–26).
Hybride Formate erweisen sich für Kommunen als besonders interessant, um spezifische Herausforderungen im ländlichen Raum und in Kleinstädten gezielt aufzugreifen und auszugleichen.
Mit Betrachtung von Chancen und Herausforderungen lässt sich für Kommunen der Ansatz der hybriden Formate hervorheben, der die Besonderheiten im ländlichen Raum und in Kleinstädten besonders adressiert. Aus der Praxis für Kinder- und Jugendgremien zeigt sich eine mögliche Verstetigung: „Wir haben in Ilmenau das Modell eingeführt, dass wir seit [der Pandemie] […] hybrid weitertagen, dass wir immer sagen, wir bieten einen Link mit an und wir schauen da regelmäßig rein, ob sich Leute dazu schalten wollen“ (Interview Christoph Macholdt, DKJG Thüringen). Vor allem Kommunen mit einem weitläufigen Gebiet könnten auf diese Formate setzen. Durch den Erwerb technischer Geräte und die Konzeption spezifischer Fortbildungen für Fachkräfte und Interessierte kann auf dem aufgebaut werden, was viele Fachkräfte während der Pandemie bereits an Wissen und Können erworben haben. Notwendige Technik sollte in den Kommunen angeschafft und Vereinen und Jugendgremien zur Verfügung gestellt werden. Eine mögliche Unterstützung könnte weiterhin darin bestehen, passende lokale Räumlichkeiten wie Bürger*innenhäuser oder Jugendhäuser mit der erforderlichen Technik auszustatten und sie Kindern und Jugendlichen für eine digitale und analoge Vernetzung (und Teilnahme an hybriden Projekten) zugänglich zu machen (Beispiele für hybride Planspiele: Teamspiel Jugendbeteiligung, Europe Alive).
Um eine nachhaltige Verankerung der digitalen Teilhabe zu gewährleisten, ist es wichtig, dass Kommunen nicht alleine handeln, sondern gemeinsam mit jungen Menschen Digitalisierungsprozesse vorantreiben. Die Einbindung der Jugend in die Konzeptentwicklung neuer Anwendungen und Methoden ermöglicht ihnen die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Empowerment. Zudem stärkt es die Sichtbarkeit ihres Engagements und Interesses an der Entwicklung digitalen Fortschritts in den eigenen Kommunen. Denn: „Nur da, wo Kinder und Jugendliche als Expert*innen für ihre Lebenswirklichkeit wahrgenommen werden und mit ihren Ideen auch jenseits klassischer Jugendthemen ernst genommen werden, wo Partizipationsrechte strukturell (beispielsweise in Gemeindeordnungen) verankert und nicht nur sporadisch gewährt werden und Transparenz und Offenheit herrscht, kann echte Jugendbeteiligung gelingen“ (DKJS 2014, S. 25). Junge Menschen mit digitaler (Teilhabe-)Erfahrung sollten also gehört und aktiv in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Werden in solchen partizipativen Prozessen gemeinsam Anwendungen der digitalen Teilhabe entwickelt, könnten diese zudem von den Kommunen übernommen werden, um etwas zu schaffen, das für alle nützlich ist – im Sinne einer „Technologie aus der Gesellschaft“, auch bekannt als Civic Tech (BMFSFJ nach Grünwald 2020, S. 82). Für mehr Informationen zum Thema: „Kinderrechte by Design: Kinderrechte und digitale Produkte“.
Für eine nachhaltige Verankerung digitaler Teilhabe sollten Kommunen gemeinsam mit jungen Menschen Digitalisierungsprozesse vorantreiben.
Um die digitale Teilhabe junger Menschen in der Kommune sicherzustellen und zu fördern, müssen mehrere wichtige Aspekte berücksichtigt werden:
Es ist von großer Bedeutung, die Rechte von Kindern und Jugendlichen sowohl in der digitalen als auch in der analogen Welt sicherzustellen und zu stärken. Denn nur wenn digitale Teilhabe ganzheitlich betrachtet, aktiv unterstützt und fest in der Kommune etabliert ist, kann jungen Menschen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Potenziale in der digitalen Welt zu entfalten.
Im Rahmen der Erarbeitung des Themas wurde durch die Autorin ein Interview mit Christoph Macholdt, Vorstandsmitglied des Kinder- und Jugendbeirates Ilmenau (2016–2023) und des Dachverbandes der Kinder- und Jugendgremien Thüringen (2020–2024) geführt. Grundlage boten Fragen, die in Bezug auf das Thema digitale Teilhabe in Kommunen entstanden.