Eine Demonstration zieht durch eine Straße, die Teilnehmenden halten selbstgestaltete Plakate hoch.

Das Recht von Kindern auf eine offene Zukunft

Dr. Ingrid Stapf
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Teilhabe von Kindern an ihrer möglichen Zukunft: (Digitales) Empowerment am Beispiel der Fridays-for-Future-Bewegung

Kinder protestieren bei Fridays-for-Future nicht nur für eine umfassende Umweltpolitik und soziale Gerechtigkeit, sondern auch für ihr Recht auf eine offene Zukunft, meint Medienethikerin Dr. Ingrid Stapf. Außerhalb dieser digitalen, selbstorganisierten Teilhabe sind ihre Möglichkeiten für die Mitgestaltung dieser Zukunft immer noch sehr begrenzt – das muss sich ändern.

Die Teilhabe von Kindern kann für oder von Kinder/n organisiert werden und mit einem Empowerment von Kindern als gesellschaftlicher Gruppe einhergehen. Die im Folgenden ethisch reflektierte Fridays-for-Future-Bewegung zeigt beispielhaft Wege für die digital (selbst) organisierte Teilhabe von Kindern an ihrer möglichen Zukunft auf.

Das Recht auf eine Gegenwart „als Kind“ mit einer offenen Zukunft

Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft ist mit Blick auf Kinder besonders verwoben. Kindheit ist eine in sich wertvolle Lebensphase. Kinder haben, so Janusz Korczak (2011), ein Recht auf ihre Gegenwart „als Kinder“. Gleichzeitig ist Kindheit eine verletzliche wie auch hochgradig individuelle Entwicklungsphase, in der Kinder kognitive, emotionale und geistige Fähigkeiten erst noch entwickeln und über selbstwirksame Erfahrungen und Interaktionen Selbst- und Weltkonzepte entwerfen und ihre Persönlichkeit sukzessive entfalten. Damit dies möglich wird, spielt eine offene Zukunft und damit einhergehende Möglichkeiten in der Zukunft als Erwachsene eine zentrale Rolle. Genau dies verbrieft das Grundgesetz in Art. 2 mit dem freien Recht auf Persönlichkeitsentwicklung, Leben und körperliche Unversehrtheit. Der amerikanische Philosoph Joel Feinberg (1980) spricht sogar von einem „Recht auf eine offene Zukunft“ („right to an open future“).

Kinder sind nicht nur zukünftige Bürger*innen einer Gesellschaft, sondern sie haben auch in der Gegenwart “als Kinder” Rechte auf Partizipation und Teilhabe. Denn dieses Recht ermöglicht erst die Umsetzung anderer Kinderrechte.

Kinder sind aber nicht nur zukünftige Bürger*innen einer Gesellschaft, sondern sie haben auch in der Gegenwart „als Kinder“ Rechte auf Partizipation und Teilhabe. Diese Rechte sind in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verbrieft. Darin erhält Art. 12 UN-KRK, der die Beteiligung von Kindern an sie betreffende Angelegenheiten sichert, besonderes Gewicht als ein „Querschnittsrecht“. Denn Partizipationsrechte sind nicht nur substanzielle Rechte von Kindern, sondern auch instrumentelle Rechte, die erst die Umsetzung anderer Kinderrechte ermöglichen. „Als kontinuierlicher, verbindlicher Prozess“ wirken sie damit wie ein „Grundprinzip bei der Umsetzung aller Kinderrechte“ (Reitz 2015, S. 3). Kinderrechte gelten nicht einzeln für sich, da die „Unteilbarkeit“ von Menschenrechten impliziert, dass alle Rechte von Kindern gleichwertig und miteinander verbunden sind (Maywald 2020). Wenngleich dies in der Praxis oft noch nicht umgesetzt wird, weil vielfach Kindheitsbilder vorherrschen, die Kinder als „Noch-Nicht-Erwachsene“ und Kindheit damit als Übergangsstadium verstehen, bezieht sich die Teilhabe von Kindern auf alle gesellschaftlichen Teilbereiche: Sie betrifft die Familie, Kita oder Schule ebenso wie die Stadtgestaltung, Vereine, aber auch die Politik.

Das Dilemma der fehlenden Entscheidungsmacht

Hier zeigt sich ein grundlegendes Dilemma, das aus kinderrechtlicher Sicht vermehrter Aufmerksamkeit bedarf: Kinder sind aufgrund des Gleichheitsgebots (Egalitätsprinzip), das in Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zugrunde gelegt ist, moralisch gleich und gleichwertig zu erwachsenen Menschen. Laut der Kinderrechtskonvention gelten sie als handelnde Subjekte und gar subjektive Rechtsträger*innen, die als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt gesellschaftlich und politisch einzubinden sind. Gleichzeitig ist Kindheit innerhalb einer generationalen Ordnung strukturiert, die Kindern weniger Macht zuschreibt und vorrangig Schutzansprüche für Kinder sichert. Dies ist angesichts der besonderen Verletzlichkeiten und sich erst noch entwickelnden Fähigkeiten auch sinnvoll und kann im Interesse von Kindern sein. Gleichzeitig fehlen Kindern aber (altersangemessene) gesellschaftliche und politische Räume und Verfahren, die diese Partizipation in der Praxis ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist das Fehlen von Wahlrechten unter 18 Jahren oder von wirksamen Mitspracherechten bei Angelegenheiten, die Kinder direkt betreffen. Ausnahmen, wie Kinder- und Jugendparlamente oder –beiräte, sind hier oft vereinzelte Leuchttürme.

Dieses Dilemma, das sich auch als ein „blinder Fleck“ der Demokratie formulieren ließe, wird besonders deutlich und relevant, wenn der Blick auf zukünftige Lebensbedingungen im Zuge der Klimakrise und damit der Möglichkeit nicht nur einer offenen, sondern einer Zukunft überhaupt gerichtet wird. Das Recht auf eine gesunde Umwelt beinhaltet auch das Recht, in einer über Generationen nachhaltigen, intakten Umwelt aufzuwachsen und diese mitzugestalten (Vielhaber und Schubert 2018). Was also, so möchte dieser Beitrag aus medien- und kinderethischer Sicht, untersuchen, bedeutet es für ein Recht auf Mitbestimmung für und Teilhabe an der möglichen Zukunft, wenn Kinder nicht politisch mit Wahlrechten oder wirksamen Mitspracherechten ausgestattet sind? Wie lässt sich Teilhaben und Mitbestimmen trotz fehlender Entscheidungsmacht im Politischen denken, wenn es um das Recht auf eine gesunde Umwelt, aber auch eine (überhaupt mögliche) Zukunft geht?

Was es braucht: Verantwortung für die Zukunft kommender Generationen

Die Frage nach einer Zukunftsethik ist aktuell wieder neu aufgeworfen, obgleich sie schon über eine längere Tradition verfügt. Der Philosoph Hans Jonas entwarf bereits 1979 in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung eine globale Umweltethik. Er gilt als Vordenker einer globalen ökologischen Verantwortung, indem er auf die Bedrohung des Gattungsüberlebens (Werner 2003) im Zuge der technischen Zivilisation fokussiert. Hierzu formuliert Jonas einen kategorischen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen
Lebens auf Erden“ (Jonas 1979, S. 35). Ähnlich postuliert der Ethiker Dieter Birnbacher 1988 eine „Verantwortung für zukünftige Generationen“. Er befasst sich mit zentralen Fragen der Klimaethik und versteht die Verantwortungsverteilung als ein Gerechtigkeitsproblem (Birnbacher 2016). Dies begründet er mit der asymmetrischen Beziehung zwischen Verursachung und Betroffenheit. Diese Asymmetrie, so ließe sich ergänzen, besteht dabei nicht nur global, sondern auch generational: Kinder sind in besonderem Maße in ihrer möglichen Zukunft vom Handeln vorheriger Generationen und deren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, betroffen, ohne selbst Verursachende zu sein, was die Problemlagen betrifft. Neben einer retrospektiven geht es also auch um eine prospektive Verantwortung, d.h. die Verantwortung für das, was zukünftig ermöglicht oder verhindert werden soll.

Kinder sind in ihrer möglichen Zukunft vom Handeln vorheriger Generationen und deren Verantwortungsbereitschaft betroffen, ohne selbst Verursachende zu sein. Neben einer retrospektiven geht es also auch um eine prospektive Verantwortung.

Im Kern geht es also um die Ermöglichung einer offenen Zukunft von Kindern, die jetzige Akteure bereits verantworten und mitverantworten müssen. Kindern wird allerdings in der Praxis oft noch wenig Verantwortung zugetraut. Dies wird damit begründet, dass Kindheit eine Entwicklungsphase ist, in der sich Fertigkeiten sowie kognitive Kompetenzen, aber auch Erfahrungswerte und eine stabile moralische Urteilskraft erst noch ausbilden. Gleichzeitig, so Gerison Lansdown (2005), braucht eine ganzheitliche Entwicklung von Kindern gerade aktive Erfahrungen; und ein zu starker Schutz vor Verantwortung kann zentrale Entwicklungsprozesse sogar behindern. Kinderrechtler, wie Manfred Liebel, bezeichnen dies mit Jack Flasher (1978) als „Adultismus“. Kinder sind, so Liebel (2020, S. 13), eine „weitgehend machtlose Bevölkerungsgruppe“, da ihr sozialer Status von Abhängigkeit von Erwachsenen geprägt ist, deren Entscheidungen sie unterworfen sind. Dies kann im Extrem sogar als eine altersbezogene Diskriminierung verstanden werden. Bezogen auf die Klimakrise wird dieses Spannungsfeld jedenfalls besonders virulent, da Kinder langfristig (und länger als die entscheidenden Erwachsenen) von den Folgen des Handelns der Erwachsenen betroffen sind.

Der „Empowerment-Effekt”

Es gehört damit, so Thomas Krüger (2019), zu den „zentralen Herausforderungen […], Kindern und Jugendlichen Räume anzubieten, in denen sie demokratische Teilhabe praktizieren können und sich selbst als aktive Gestalterinnen und Gestalter unserer Demokratie erfahren können.“ Und dies umfasst im Prozess der Digitalisierung vor allem mediale Plattformen und Angebote. So hat sich gezeigt, dass gerade die Digitalisierung gesellschaftliche und politische Prozesse verändern kann, und dass (digitale) Medien, neben zahlreichen Herausforderungen, auch besondere Potenziale für eine bessere Umsetzung von Kinderrechten haben. Der Sozial- und Kulturwissenschaftler Heinz Hengst spricht von einem „Empowerment-Effekt“ (Hengst 2014, S. 27) durch digitale Medien, indem sich kindliche Spielräume erweitern und das elterliche Kontrollmonopol gebrochen wird. Im Kontext einer zunehmend mediatisierten Kindheit verändern Kinder dabei auch die generationale Ordnung selbst, indem sie individuelle und kollektive Identitäten konstruieren und neue Partizipationsformen vorfinden (Hengst 2009, S. 56 f.; Tillmann und Hugger 2014, S. 35).

Digitale Medien können laut Heinz Hengst einen "Empowerment-Effekt" auslösen, da sie kindliche Spielräume erweitern, das elterliche Kontrollmonopol brechen und dadurch die generationale Ordnung selbst verändern.

Ein Beispiel einer durch Kinder initiierten und über digitale Medien organisierten Bewegung ist die Fridays-for-Future-Bewegung. Diese Bewegung kann als Beispiel für „gelebte Kinderrechte“ beschrieben werden: Kinder haben sich dabei lokal, überregional und global über digitale Medien vernetzt und an Erwachsene Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen, Eltern und Lehrkräfte appelliert, ihre Rechte auf eine überhaupt mögliche Zukunft in Verbindung mit dem Klimawandel zu ermöglichen. So endeten viele Demonstrationen im Zuge der regelmäßigen Schulstreiks vor dem Reichstag in Berlin oder anderen Orten politischer Handlungsmacht. Dabei ging die Bewegung über Parolen hinaus und hat Kindern die selbstwirksame Erfahrung ermöglicht, individuell, aber auch kollektiv als Kinder in der Gesamtgesellschaft handlungsmächtig zu werden. Auf diese Weise haben sich Kinder selbst organisiert und politische Teilhabe nicht nur gefordert, sondern öffentlich sichtbar umgesetzt. Diese Bewegung blieb dabei nicht auf Kinder beschränkt, sondern Eltern (Parents for Future), Erziehende und Lehrende (Pädagogen for Future) sowie auch Forschende (Scientists 4 Future) haben sich der Bewegung angeschlossen.

Selbst organisierte Bewegungen definieren Kinderrechte selbst

Im Zuge dieser Bewegung haben Kinder ihre Kinderrechte dabei nicht nur gefordert (vor allem das Recht auf gesunde Lebensbedingungen, eine gesunde Umwelt und Entwicklung), sondern auch selbst umgesetzt, ohne dass dies Erwachsene für sie organisiert haben. Sie haben ihre Rechte auf Versammlungsfreiheit, Meinungsäußerung, Teilhabe/Partizipation sowie ihr Recht auf Nicht-Diskriminierung über mittlerweile Jahre hinweg artikuliert, umgesetzt, aber auch aktiv eingefordert. Dies lässt sich mit dem Konzept der „living rights“ (Hanson und Nieuwenhuys 2013) erfassen, wonach Kinderrechte nicht nur durch internationale Organisationen oder Staaten definiert werden, sondern Kinder ihre Rechte vielmehr selbst aktiv gestalten und dabei beeinflussen, wie sie sich in der sozialen Welt entwickeln. Kinder haben ihren Rechten auch bei der Fridays-for-Future-Bewegung als aktiv Handelnde Gestalt und Gehör gegeben. Beispielsweise legten 16 junge Menschen aus aller Welt eine Rechtsbeschwerde bei den Vereinten Nationen ein und argumentieren, dass es eine Menschenrechtsverletzung ist, wenn die Klimakrise nicht gestoppt wird. Eine davon, die damals 11-jährige Ridhima Pandey formulierte (Zessnik 2019; Kainz 2019):

Ich will unsere Zukunft retten. Ich möchte die Zukunft aller Kinder und aller Menschen zukünftiger Generationen retten.“ (Ridhima Pandey)

In dieser Bottom-up-Bewegung haben digitale Medien eine besondere Rolle für das Empowerment einer auch diversen Gruppe von Kindern gespielt, die sich auf der Peer-Ebene niederschwellig und viral vernetzen, austauschen, informieren und verabreden konnten. Gleichzeitig haben sie medial auch Gehör gefunden. Nicht nur die Initiatorin Greta Thunberg, sondern auch andere Aktivist*innen wurden interviewt, zu aktuellen Anlässen befragt und teilweise sogar in völkerrechtliche Veranstaltungen (so Greta Thunberg beim World Economic Forum) eingeladen. Sie haben vor einer medialen Öffentlichkeit Kritik an Politik geübt und die Öffentlichkeit zum Umdenken und nachhaltigen Handeln und Leben aufgefordert. Auch und gerade während der Corona-Zeit, als öffentliche Versammlungen nicht gestattet und Demonstrationen verboten waren, haben digitale Medien eine zentrale Rolle für die Aufrechterhaltung und Vernetzung der Bewegung gespielt. Kinder konnten sich dabei zu Hause über soziale Medien vernetzen, austauschen, aktuelle Informationen teilen, digitale Proteste oder Digitalstreiks organisieren und gesellschaftlich – wenn auch anders – sichtbar bleiben (Spandick 2021). Das Beispiel zeigt damit die Potenziale für Teilhabe in Medien, an Medien und durch Medien für Kinder.

Politische Teilhabe in digitalen Zeiten muss Ausschlussmechanismen mitdenken

Trotz aller Euphorie ist allerdings nicht zu unterschätzen und zu übersehen, dass diese Bewegung unterschiedlich zugänglich für Kinder in Deutschland war und ist. Soziale Ungleichheit ist sehr oft mit medialer Ungleichheit verbunden (soziale als digitale Ungleichheiten), was sich immer auch auf die konkreten Teilhabemöglichkeiten für Kinder auswirkt (Iske und Kutscher 2020). So haben Erfahrungen mit Homeschooling in der Corona-Zeit gezeigt, dass viele Kinder „digital abgehängt“ waren, aufgrund mangelhafter Ausstattung im Elternhaus, bestehender Fähigkeiten oder auch lokaler Besonderheiten (eines eingeschränkten Zugangs), was sozial bestehende Ungleichheiten noch weiter drastisch verstärken kann (Stapf und Krüger 2020). Dieses Phänomen verstärkt sich noch, wenn es um politische Teilhabe geht, gerade wenn sie digital organisiert wird. So wird auch bei der FFF-Bewegung kritisch hinterfragt, ob Klima-Aktivismus nicht auch ein „weißes Privileg“ sei (Vilentchik 2019). Dabei gelten Ausschlussmechanismen informeller und struktureller Art als Gründe für bestehende Teilhabehürden (Wienkoop 2021).

Hier zeigen sich also einerseits neuartige Potenziale digitaler Handlungsmacht von Kindern, aber auch Handlungsohnmacht in der konkreten Praxis, wenn nicht auch geeignete Bedingungen für (sozial, vor allem altersgerechte) politische Teilhabe geschaffen werden. Hierzu können Maßnahmen der digitalen Bildung als  „Ermöglichungsräume“ und „Ermöglichungsprozesse“ verstanden werden.

Fazit: Kollektive Verantwortungsübernahme unter Beteiligung von Kindern

Auf der Website der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung steht: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“ (Molière). „Es darf nicht“, so die Aktivist*innen, „die alleinige Aufgabe der Jugend sein, Verantwortung für die Priorisierung des Klimaschutzes zu übernehmen. Da die Politik diese kaum wahrnimmt, sehen wir uns gezwungen, weiter zu streiken, bis gehandelt wird!“

Die Frage der Verantwortung liegt neben der individuellen also auch in der kollektiven Verantwortung, das Recht auf gesunde Lebensbedingungen in der Zukunft (auch verstanden als ein Recht auf eine offene Zukunft) sicherzustellen. Dies ist angesichts der Drastik der Situation staatliche Aufgabe und dabei in einem Netzwerk mit verschiedenen Stakeholdergruppen anzuvisieren. Aus kinderrechtlicher Perspektive sollte dieses Netzwerk jeweils eine Gruppe von Kindern umfassen und aktiv einbinden, welche die gesellschaftliche Vielfalt abbildet. Ähnlich fordern die nachhaltigen Entwicklungsziele „das Recht auf Zukunft“ und „die Verwirklichung der Kinderrechte […], um endlich auch den am stärksten benachteiligten Kindern ein sicheres und gesundes Aufwachsen zu ermöglichen“.

Das Beispiel zeigt also auf, dass Kinder ein Interesse daran haben, an politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Zukunft teilzuhaben und dies auch aktiv einfordern. Dabei ist es aus ethischer Sicht besonders spannend, dass Kinder sogar Verantwortung für ihre Zukunft bereits in der Gegenwart getragen und verschiedene Akteure auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht haben. Hier zeigt sich die Relevanz der ethischen Frage nach einer Verantwortung für zukünftige Generationen in der Gegenwart sowie – wie im jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2021) – ein bestehendes Recht der Kinder auf ihre Zukunft im Klimawandel: „Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.

Kinder fordern ein, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Sie haben sogar Verantwortung für ihre Zukunft bereits in der Gegenwart getragen und verschiedene Akteure auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht. In einem Netzwerk mit verschiedenen Gruppen müssen Kinder deswegen aktiv eingebunden werden.

Was sollten Schule, Bildungsministerien und politische Akteure beitragen?

Und damit sollen abschließend einige Handlungsmaßnahmen für die Praxis in Schule, der politischen Bildung und der Medienerziehung aufgeführt werden. Diese verweisen in Form von fünf exemplarischen Gelingensbedingungen für die Teilhabe von Kindern an ihrer Zukunft aus kinderethischer und kinderrechtlicher Sicht auf die Zentralität einer vernetzten Verantwortung:

  • Digital Literacy: Anhand der FFF-Bewegung zeigt sich die Möglichkeit für „digitales Empowerment“ von Kindern mit Bezug auf ihr Recht auf Leben, eine gesunde Umwelt und eine offene Zukunft. Damit dies für Kinder aus unterschiedlichen sozialen Milieus gleichermaßen möglich wird, sind Fragen der sozialen Gleichheit und Gerechtigkeit mitzudenken. Sie zeigen sich als Frage des digitalen Zugangs, der digitalen Ausstattung, aber auch hierzu notwendiger digitaler Kompetenzen in Sinne einer umfassenden „digital literacy“. Digitale Inklusion kann nur gelingen, wenn „digital literacy“ über verschiedene Bildungssysteme stärker als bisher verankert und als „Querschnittsthema“ des heutigen Aufwachsens von Kindern verstanden wird.
  • Wirksame Partizipationsformen: Fragen digitaler Medien sind folglich als Kernfragen sozialer Gerechtigkeit zu begreifen und spielen eine zentrale Rolle für politische Teilhabechancen einer Diversität von Kindern in der Gesellschaft. Dabei müssen Kinder zumeist nicht zur Partizipation motiviert werden, da sie ein zentrales Interesse an der Gestaltung der sie betreffenden Zukunftsfragen haben. Vielmehr geht es um die Schaffung von Möglichkeitsräumen, einer aktiven Einbindung in politische Entscheidungen oder eine Senkung des Wahlalters oder anderer Formen politisch wirksamer Partizipation, die über symbolischen Charakter hinausgehen.
  • Vernetzung von Stakeholdern: Politische Bildungsarbeit ist damit heute schulisch wie außerschulisch auch als Frage der Medienbildung zu verstehen. Beides ist heute ineinander verschränkt und kann gut über schulische und außerschulische aktive Medienarbeit oder medienpädagogisch ansetzende Projekte im politischen Bildungsfeld erfolgen. Auch hierzu wird eine stärkere Vernetzung verschiedener Stakeholdergruppen untereinander und mit Kindern wesentlich.
  • Partizipative Gestaltung: Prozesse und Räume politischer Partizipation sollten hierbei, idealerweise unter wissenschaftlicher Begleitung, mit Kindern gemeinsam entwickelt und gestaltet, dabei aber vor allem auch verstetigt werden. Kinderrechte als Menschenrechte für Kinder sind einfaches Recht in Deutschland und müssen in sämtlichen Lebensbereichen vorrangig berücksichtigt werden. Hierzu können eine aktive Kinderrechteforschung und partizipative Kindheitsforschung einen zentralen Beitrag leisten und Kinder hierüber auch Gehör finden.
  • Kinderrechtlicher Blick: Dies bedarf struktureller und prozeduraler Veränderungen und eines formalen Verantwortungsnetzwerks, das diese Prozesse einfordert, mitgestaltet und evaluiert. Ein Recht auf eine offene Zukunft heißt mit Blick auf digitale Medien beispielsweise auch ein Recht auf Privatheit und Vergessen, das gerade für Kinder in politischen Bewegungen als Grundlage für ihr Recht auf eine freie Persönlichkeitsentwicklung verstanden werden kann. Denn alle Kinderrechte gelten als miteinander vernetzt: Ohne Rechte auf Privatheit (Stapf 2021, Stapf et al. 2021) können Rechte auf Teilhabe und Partizipation für Kinder problematisch werden. Das „Recht auf mein Selbst“ (Dreyer 2021) ist dabei auch als ein Kernthema verschiedener Kinderrechte zu verstehen.

Letztendlich ist dies allerdings nur möglich, wenn Zukunft überhaupt für Kinder der heutigen Generation eine Möglichkeit bleibt.

Handlungsempfehlungen

Von Dr. Ingrid Stapf
Dr. Ingrid Stapf ist Fellow am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen. Sie forscht zu aktuellen Themen der Medienethik und leitet aktuell ein BMBF-Projekt zur Sicherheit von Kindern in digitalen Welten (SIKID), das eine kinderrechtliche Perspektive einnimmt. Sie ist Prüferin bei der FSK und FSF und lehrt im internationalen Master „Childhood Studies and Children´s Rights“ der FH Potsdam. Im WS 2021 vertritt sie eine Professur für Kommunikationsethik an der Universität Greifswald.