Kind bedient einen assistiven Controller beim digitalen Spielen.

Recht auf inklusives Gaming

Linda Scholz
Daniel Heinz
Lesedauer ca. Minuten

Digitale Teilhabe durch inklusives Gaming

Digitale Medien spielen eine Schlüsselrolle für die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Welche Rolle dabei speziell Games spielen können und welche Voraussetzungen es aufseiten des Gamedesigns aber auch mit Blick auf den pädagogischen Einsatz braucht, beleuchten Daniel Heinz und Linda Scholz im folgenden Beitrag.

Digitale Spiele als Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung

Kinder haben laut UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf einen adäquaten Zugang zu (Massen)-Medien (Art. 17, UN-KRK). Laut Artikel 31 der UN-Kinderrechte erkennen die Vertragsstaaten zudem das Recht des Kindes auf Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben an (Art. 31, UN-KRK und Art. 106–111, Allg. Bem. Nr. 25). Digitale Spiele nehmen hier als jugendkulturelles Massenphänomen eine besondere Rolle ein und bilden einen wichtigen Bestandteil der Freizeitbeschäftigung von Kindern, Jugendlichen sowie Erwachsenen. Laut KIM-Studie 2022 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) nutzen 60 % der 6–13-Jährigen digitale Spiele ein- oder mehrmals pro Woche, und knapp ein Viertel täglich. Bei den Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren verstärkt sich dieser Trend sogar, von ihnen spielen über 70 % täglich oder mehrmals pro Woche (siehe JIM-Studie 2023). Games eröffnen Erlebnisräume, machen Medieninhalte selbst erfahrbar, knüpfen häufig an den Interessensgebieten von Kindern und Jugendlichen an und nehmen eine große Rolle in der Peergroup ein. Die Vielfalt der Spielkultur zeigt sich auf unterschiedliche Arten: So lädt sie junge Menschen dazu ein, ihren eigenen Interessen nachzugehen, ihre Persönlichkeiten zu entwickeln, Kreativität auszuleben sowie Teil von Communitys zu werden. Da digitale Spiele in hohem Maße Teilhabe und Freizeitgestaltung ermöglichen, erfüllen sie insbesondere für Heranwachsende mit Behinderungen vielfältige Funktionen bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung (siehe hierzu auch den Artikel Teilhabe im Kontext digitaler Spiele). Auch die UN-Behindertenrechtskonvention hat festgelegt, dass Medien eine Schlüsselrolle zur gleichberechtigten Teilhabe einnehmen (Art. 9, UN-BRK).

  • Zugängliche digitale Spiele ermöglichen Menschen mit Behinderung Erfahrungs- und Handlungsräume, die ihnen ohne das Medium nicht möglich wären.
  • Durch digitale Spiele können Vorurteile sowie Berührungsängste abgebaut, Kompetenzen gefördert und (motorische) Fähigkeiten verbessert werden.
  • Games können das „Fenster zur Welt“ sein, vorhandene Einschränkungen kompensieren und Erlebnisse erfahrbar machen, die vielleicht behinderungsbedingt nicht möglich sind, wie etwa Autofahren, Sport und Abenteuer.
  • Heutzutage erweitert das digitale Umfeld im Allgemeinen und das digitale Spielen im Speziellen den Sozialraum und die gesellschaftliche Teilhabe (siehe hierzu auch Art. 89, Allg. Bem. Nr. 25).
  • Durch den Avatar, das virtuelle Alter Ego, besteht die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, Spielpartner*innen im digitalen Raum von einer Einschränkung zu berichten.

Die Fähigkeit, Medien kompetent nutzen zu können, macht heutzutage die Teilhabe an der Gesellschaft in den meisten Fällen überhaupt erst möglich, allerdings gibt es auch verschiedene Barrieren bei der medialen Teilhabe. Damit Jugendliche mit Behinderung gleichberechtigt teilhaben können, benötigen sie daher barrierefreie Zugänge und Ausstattungen, sprich auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Hilfsmittel und entsprechend barrierefrei gestaltete Spiele sowie pädagogische Angebote, welche die verschiedenen Bedürfnisse im Blick haben. Die weiteren Schutzbedarfe von Kindern mit Behinderung im digitalen Raum haben Isabel Zorn und Meike Cruz Leon in ihrem Artikel in diesem Dossier zudem ausführlich aufgeführt.

Barrieren digitaler Spiele

Als audiovisuelles und interaktives Medium ermöglichen digitale Spiele zahlreiche Erlebnisräume, weisen jedoch auch viele Barrieren in unterschiedlichen Bereichen auf. So passiert es leider oft, dass die Barrierefreiheit zugunsten von Design- und Atmosphäre-Entscheidungen zurückstecken muss, was bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen die Spielerfahrung stark beeinflussen kann. Um die Zugänglichkeit eines Games zu überprüfen, bieten sich die Game Accessibility Guidelines an. Unsere Initiative Gaming ohne Grenzen testet digitale Spiele auf Barrieren in inklusiven Gruppen und stellt die Ergebnisse auf einer Webseite dar. Hierfür wurde eine praxiserprobte Methode entwickelt.

Barrieren in Gaming-Communitys

Digitalisierung trägt dazu bei, dass sich Jugendkulturen verändern und neue entstehen. Digitale Medien sind für junge Menschen relevant, um die eigene Identität zu entwickeln, in der Peergroup mitreden zu können und Beziehungen aufzubauen. Heranwachsende sind dabei nicht auf ihre Heimatstädte beschränkt, im Gegenteil: Communitys sind auf der ganzen Welt verstreut und bilden für junge Menschen wichtige Orte, um Neues zu entdecken, sich auszuprobieren und sich selbst darzustellen.

Barrieren können sowohl im Gamedesign angelegt sein, als auch in Form von Ausgrenzungsprozessen auf Ebene der Gaming Communitys entstehen.

Ausgrenzung durch Toxic Gaming

Wie Nina Kiel in ihrem Beitrag zur Teilhabe im Kontext digitaler Spiele schreibt, können hier bereits Kinder spannende Beteiligungsformen erfahren, aber ebenso Ausgrenzungsprozesse erleben, die auch Kinderrechte tangieren. Denn Gaming bietet auch Risiken, die sich häufig in Gaming-Communitys durch Cybermobbing oder Hatespeech zeigen. So wird manchmal aus Spaß bitterer Ernst und es kommt zu schädlichen Verhaltensweisen von Spieler*innen, die als Toxic Gaming bezeichnet werden. Bei Online-Games ist die Hemmschwelle für verbale Entgleisungen um einiges niedriger, insbesondere im Wettbewerb oder bei hohem Erfolgsdruck. Gerade die scheinbare Anonymität im Internet sorgt dafür, dass Menschen sich den Folgen ihrer Worte oft nicht bewusst sind. Sie sehen weder die Reaktion ihres Gegenübers oder die Betroffenen lassen sich ihr Empfinden nicht anmerken. Zudem fürchten sie in Online-Umgebungen weniger negative Konsequenzen, da diese online nicht greifbar sind. Statt konstruktives Feedback zu bekommen, werden vermeintlich schlechtere Spieler*innen in Communitys oft beleidigt und gedemütigt. Und auch auf Plattformen, die Games zum Thema haben, sind rüde Verhaltensformen keine Seltenheit. Dies kann besonders für Heranwachsende mit Behinderungen mit Problemen verbunden sein, wenn sie sich dadurch ausgegrenzt fühlen, den Mut verlieren, sich online mit anderen zu messen oder den Umgangston kognitiv nur schwer verarbeiten können. Um Kinder zu schützen, bieten alle Spielgeräte und viele Games Jugendschutzeinstellungen.

E-Sport als pädagogische Methode

Im medienpädagogischen Kontext können hier Projekte zu E-Sport eine Möglichkeit sein, Heranwachsende für Themen zu Fair Play und respektvollem Umgang miteinander zu sensibilisieren. E-Sport bezeichnet das meist teambasierte kompetitive Austragen von digitalen Spielen. Wie bei anderen Sportarten gibt es auch hier Mannschaften und Ligen, in denen professionell und um teils enorme Geldpreise gespielt wird. Dies ist auch der Grund, warum sich immer mehr Jugendliche für elektronischen Sport interessieren und eine Karriere als E-Sportler*in anstreben. Durch gemeinsames Spielen und das Betreuen eines Teams lässt sich Toxic Gaming in der Jugendarbeit reflektieren und es können gemeinsam Vermeidungs- und Lösungsstrategien entwickelt werden. Darüber hinaus kann durch die Organisation in einem Team auch an allgemeinen sozialen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Konflikt- und Kritikfähigkeit oder Verantwortungsbewusstsein gearbeitet werden. Hier können auch Jugendliche mit Behinderung eine tragende Rolle im Team einnehmen und Selbstwirksamkeit und Teamgefühl erleben. Inklusiv gestalteter E-Sport ermöglicht einen direkten Austausch zwischen Jugendlichen mit und ohne Behinderung, die andernfalls vielleicht nicht in Kontakt gekommen wären. So können ein Verständnis füreinander gefördert und Vorurteile abgebaut werden.

Beispiel:
Mit der inklusiven E-Sport Jugend-Liga (ESJL) gibt es eine Plattform, die Jugendlichen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen die Möglichkeit bietet, ihre Leidenschaft für Gaming und E-Sport in einer Gemeinschaft auszuleben, ihre Talente zu entfalten und erste kompetitive Erfahrungen zu sammeln. Unsere Coaches vermitteln Spielkompetenz, stärken das Teamgefühl und fördern Gesundheit, Bewegung und Fairness. Inklusive Teams haben mehrfach den ersten Platz in einer Disziplin belegt.

Assistive Technologie

Digitale Spiele benötigen aufgrund ihrer Interaktivität immer Eingabegeräte. Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen kommen dabei unter anderem speziell zugeschnittene Controller, Tastaturen oder Computermäuse zum Einsatz. Durch ihre niedrige Produktionszahl sind diese allerdings oft erheblich teurer als herkömmliche Eingabegeräte. Von der Steuerung des Games über die Augen oder den Mund bis zu kleinen Anpassungen bei der Tastatur reicht die Bandbreite, um die Schnittstelle zwischen Nutzer*innen und der Maschine zu verringern. Spieler*innen mit körperlichen Einschränkungen suchen meist ihre eigenen Wege, um vorhandene Barrieren zu überwinden. So sind individuelle Selbstbau-Eingabegeräte längst keine Seltenheit mehr.

Potenziale einer inklusiven Gamespädagogik

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen teilhaben und sie mitgestalten kann. Bezugnehmend auf Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention fallen hierunter auch Unterhaltungsangebote wie Games, die als Kulturgut anerkannt sind. Digitale Spiele sind ein wertvolles Werkzeug der Jugendarbeit – sie können die individuellen Erfahrungs- und Handlungsräume erweitern sowie vorhandene Behinderungen durch die Umgebung kompensieren. Digitale Erfahrungs- und Reflexionsräume sind für Kinder und Jugendliche – gleichsam ob mit oder ohne Behinderung – essenziell, um sich Kompetenzen in einer digital geprägten Gesellschaft anzueignen. Auch Isabel Zorn und Meike Cruz Leon beschreiben die Potenziale digitaler Medien für die Inklusion von Kindern mit Behinderungen in ihrem Artikel und gehen darauf ein, dass insbesondere Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderung durch neue technische Entwicklungen und Hilfen besser an Freizeitaktivitäten teilhaben können. Medienpädagogische Angebote müssen daher ebenfalls inklusiv gedacht werden, um niemanden auszuschließen und damit sich alle angesprochen und willkommen fühlen. Praktische Hilfestellungen zur Umsetzung von inklusiven Medienprojekten mit Kindern bietet das Netzwerk Inklusion mit Medien (nimm!) der LAG Lokale Medienarbeit NRW. Und wer Games in der pädagogischen Praxis mit Kindern anbieten möchte, kann sich an den Spieleratgeber-NRW wenden.

Digitale Spiele sind ein wertvolles Werkzeug der Jugendarbeit – sie können individuelle Erfahrungsräume erweitern und vorhandene Behinderungen kompensieren.

Praxisbeispiel „Gaming ohne Grenzen“

In der oben bereits erwähnten Initiative Gaming ohne Grenzen werden in inklusiven Jugendeinrichtungen Spiele mit Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung getestet. Hier können Jugendliche assistive Technologien kennenlernen, mögliche Berührungsängste oder Vorurteile abbauen und für Werte der Inklusion sensibilisiert werden. So konnten die Jugendlichen von den Erfahrungen aus den Gruppen profitieren:

"Wir finden es sehr wichtig, dass es unterstützende Technologien gibt, damit Gamer*innen mit einer motorischen Behinderung mitspielen können. Für Spielende, die Standard-Controller gewohnt sind, können sie zunächst ungewohnt sein, ermöglichen aber ein individuelles Steuern und sind ein wichtiger Schritt in Richtung barrierefreies Gaming." (Christian und Isabel, Broschüre Digitale Spiele – Pädagogisch beurteilt – Band 33)

Diese Erfahrungen der Selbstwirksamkeit haben die Jugendlichen aus den inklusiven Gruppen dazu motiviert, den nächsten Schritt gehen zu wollen. In dem durch die Aktion Mensch und Congstar geförderten Folgeprojekt Level Up entwickeln sie partizipativ eigene Spielaktionen und bieten diese auf Veranstaltungen wie der gamescom oder der TINCON an.

Handlungsempfehlungen für eine Stärkung von Kinderrechten

Von Linda Scholz
Linda Scholz ist Fachreferentin und Redaktionsleitung beim Spieleratgeber-NRW und betreut in dem Rahmen verschiedene Projekte, die Spieletestgruppen sowie die Jugendredaktion. Weiterhin ist sie seit vielen Jahren Jurymitglied für den Deutschen Kindersoftwarepreis Tommi und Dozentin an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena für den Master Spiel- und Medienpädagogik.
Von Daniel Heinz
Daniel Heinz leitet den Fachbereich Games bei der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW und Projektleiter des Spieleratgebers-NRW. Außerdem ist er Jugendschutzsachverständiger bei der Unterhaltungsoftware Selbstkontrolle (USK) und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sowie Redaktionsleitung bei der Broschüre "Digitale Spiele pädagogisch beurteilt".