Wie digitale Medien reguliert und gestaltet werden, hat direkten Einfluss auf das Leben von Kindern und Jugendlichen – mitentscheiden bei diesen Themen können sie aber selten. Deswegen hat das Deutsche Kinderhilfswerk in einer Pilotrecherche Qualitätskriterien vorgeschlagen, um nachhaltige Beteiligungsvorhaben im Jugendmedienschutz zu fördern.
Beteiligung im Jugendmedienschutz ist kein neues Thema, hat aber neue Impulse erhalten: Zum einen hat der UN-Kinderrechteausschuss 2021 seine 25. Allgemeine Bemerkung über die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld veröffentlicht und darin das Recht auf Beteiligung an Fragen und Entscheidungen über das digitale Umfeld ausdifferenziert. Weltweit wurden vom Ausschuss dafür Kinder und Jugendliche konsultiert und die Ergebnisse direkt in die Erarbeitung des Dokuments einbezogen. Zum anderen wurde in Deutschland im Nachgang der Novellierung des Jugendschutzgesetzes bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) ein Beirat eingerichtet, in dem sich auch Jugendliche an Entscheidungen rund um den gesetzlichen Jugendmedienschutz beteiligen.
Diese zwei Impulse hat das Deutsche Kinderhilfswerk mit einer Pilotrecherche aufgenommen. Ziel ist es, Beteiligung im Sinne eines ganzheitlich ausgerichteten Jugendmedienschutzes, der junge Menschen einbezieht und ihre Perspektiven einholt, zu stärken und zu verstetigen. Dafür schlägt die Publikation die Auseinandersetzung mit Qualitätskriterien für die gelingende Einbeziehung von Kinder- und Jugendperspektiven im Jugendmedienschutz vor. Außerdem zeigt die Recherche Beispiele auf, wo und in welcher Form beteiligungsorientiertes Vorgehen im Kontext von gesetzlichem und erzieherischem Kinder- und Jugendmedienschutz bereits stattfindet und in welchen rechtlichen Rahmenbedingungen Beteiligung schon verankert ist.
Im folgenden wird die Recherche im Gespräch mit der Autorin Cornelia Jonas, Referentin Medienbildung beim Deutschen Kinderhilfswerk, dargestellt. Sie hat den Bericht in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Koordinierungsstelle Kinderrechte verfasst. Den gesamten Bericht zur Pilotrecherche können Sie hier abrufen.
Cornelia Jonas: Es braucht vor allem eine Diskussion über und ein Auseinandersetzen mit solchen Qualitätskriterien, zu der wir mit unserem Vorschlag hoffentlich beitragen können. Denn Beteiligung ist laut UN-Kinderrechtskonvention Art. 12 ein Kinderrecht, das genauso in Bezug auf das digitale Umfeld umgesetzt werden muss. Es gibt auch schon etablierte Qualitätsstandards für Jugendbeteiligung, Akteure wie den Deutschen Bundesjugendring oder Netzwerke und Austauschformate wie das Bundesnetzwerk Kinder- und Jugendbeteiligung. Auch der UN-Kinderrechteausschuss hat in seiner 12. Allgemeinen Bemerkung kinderrechtliche Qualitätsstandards für Beteiligung beschrieben. Mit der Recherche verfolgen wir u. a. das Ziel, dieses schon vorhandene breite Wissen und die bestehenden Erfahrungen auf den Kontext des Jugendmedienschutzes anzuwenden und für Akteure im Feld nutzbar zu machen. Da die Handlungsfelder im Jugendmedienschutz aber sehr unterschiedlich und die verschiedenen Akteure nicht über einen Kamm zu scheren sind (vgl. Abb. 1), können sie die Kriterien für ihre Kontexte ausdifferenzieren.
Cornelia Jonas: Die 25. Allgemeine Bemerkung ist rechtlich nicht direkt bindend, weswegen wir recherchiert haben, inwiefern Beteiligung in rechtlichen Rahmenbedingungen für einzelne Arbeitskontexte bereits vorgesehen oder festgehalten ist. Außerdem haben wir zusammengefasst, welche möglichen Beteiligungsfelder Kinder- und Jugendmedienschutz umfasst und welche Akteure Beteiligung zu welchen Anlässen umsetzen können. Danach haben wir für eine praxisnahe Entwicklung der Kriterien in einer Projektrecherche nationale und internationale Akteure im Bereich des gesetzlichen und erzieherischen Jugendmedienschutz und in der Medienproduktion kontaktiert, um einen ersten Eindruck zu bekommen, welche Formate für beteiligungsorientiertes Vorgehen bereits umgesetzt wurden und werden.
Cornelia Jonas: Qualitätssichernd ist es aus kinderrechtlicher Perspektive beispielsweise, wenn sich Akteure im Jugendmedienschutz, die Kinder und Jugendliche beteiligen, mit allen Stakeholdern auf Qualitätskriterien einigen. Idealerweise sind dabei schon Vertreter*innen der Zielgruppe involviert. Dazu müssen Akteure ihren Handlungsrahmen kennen, auch um den Kindern und Jugendlichen gegenüber die Entscheidungsspielräume transparent kommunizieren zu können. Denn die sind insbesondere im gesetzlichen Jugendmedienschutz durch verschiedene Regularien strukturiert.
Unterstützen kann dabei eine Gesamtstrategie – entweder einer Organisation, eines Zusammenschlusses oder eines Handlungsfeldes. Dadurch kann Beteiligung nachhaltig etabliert, evaluiert und die Ergebnisse umgesetzt oder zumindest der Dialog mit relevanten Adressat*innen und die Beteiligung an fachlichen Diskussionen organisiert werden. Hierfür ist aus kinderrechtlicher Sicht auch zu betonen, dass besondere Risiken und vulnerable Gruppen in einer Kinderschutzstrategie identifiziert werden sollten, zum Beispiel um das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu gewährleisten.
Ganz zentral ist außerdem natürlich, dass Heranwachsende in beteiligungsorientierten Prozessen die Möglichkeit bekommen, Themen, Rahmenbedingungen oder Ziele mitzusetzen. Sie sollen ihr Wissen, ihre Kompetenzen und ihre Netzwerke ausbauen können und für ihr Engagement honoriert werden. Dafür müssen Akteure u. a. Teilnahmehürden abbauen und ihre Vorhaben lebenslagensensibel und inklusiv gestalten.
Cornelia Jonas: Uns ist bei unserer explorativen Recherche eine große Vielfalt an beteiligungsorientierten Formaten begegnet: Konsultationen oder Kommentierungsprozesse, Forschungswerkstätten und Playtesting, die Beteiligung an Gremien oder eigene Kinder- und Jugendgremien, Jugendjurys oder -redaktionen. Jugendliche gestalten Produkte und Veranstaltungen oder Teile davon selbstbestimmt, engagieren sich in Peer-to-Peer-Netzwerken oder -Beratungen. Wir haben für eine erste Formatübersicht sowohl Beispiele aus dem gesetzlichen und erzieherischen Kinder- und Jugendmedienschutz, aber auch aus der Medienproduktion, Medienwirtschaft oder Medienbildung aufgenommen. Deutlich wird, dass viele Institutionen in Kooperation zusammenarbeiten. Die meisten der gefundenen Vorhaben zielen auf die Mitwirkung oder auf die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen, adressieren spezifische Altersgruppen und dabei tendenziell eher ältere Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Im gesetzlichen Jugendmedienschutz haben wir insbesondere Vorhaben gefunden, die an Forschungsprojekte und an Erwachsenengremien anknüpfen.
Cornelia Jonas: Durch die unterschiedlichen Institutionen, die den gesetzlichen und erzieherischen Kinder- und Jugendmedienschutz umsetzen, sind prinzipiell vielfältige Anlässe, Themen und Methoden möglich, die es auszuschöpfen gilt (vgl. auch Abb. 2). Neben der Beteiligung junger Menschen an der Entwicklung von Gesetzen, (politischen) Strategien, Programmen oder in der Gefahrenerkennung beschreibt die 25. Allgemeine Bemerkung aber auch, dass Staaten sicherstellen sollen, dass Anbietende digitaler Dienste mit Kindern zusammenarbeiten, angemessene Schutzmaßnahmen für sie vorhalten und ihre Ansichten in der Produktentwicklung berücksichtigen (UN-Kinderrechteausschuss 2021, Abs. 17). Auch in den Leitlinien des Europarates oder in der Kinderrechtsstrategie der Europäischen Union wird die Industrie beim Thema adressiert.
Durch die Auseinandersetzung mit Qualitätskriterien und den Erfahrungsaustausch untereinander sehen wir die Möglichkeit, dass Beteiligungsstrukturen nachhaltig aufgebaut und ausreichend Ressourcen eingeplant werden. Am Beispiel des Beirats der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz kann man außerdem beobachten, dass eine Verankerung von Jugendbeteiligung in Gesetzen oder Richtlinien ein hilfreicher Startpunkt für beteiligungsorientierte Vorgehen und seine stetige Weiterentwicklung sein kann. Dafür sind organisationsspezifisch verbindliche Konzepte zur Kinder- und Jugendbeteiligung als Grundlage für eine pragmatische Umsetzung und Evaluation unerlässlich.
Cornelia Jonas: Austauschforen, Förderung von Best-Practice und Zeit und Mut zum Ausprobieren. Es wäre zum Beispiel toll, wenn Beteiligungsvorhaben zunehmend auch jüngere Kinder einbeziehen würden. Gerade für diese Ziel- und Altersgruppe ist ein ganzheitlicher, differenzierter Jugendmedienschutz sehr relevant, da sie digitale Umgebungen zunehmend regelmäßig nutzt, dabei oft selbstständig agiert und teilhaben will, ohne auf Schutz zu verzichten. Generationenübergreifende Ansätze, also beispielsweise ein Beteiligungsformat für gesamte Familien o.ä., können eine Möglichkeit sein, um die unterschiedlichen Adressat*innen des Jugendmedienschutzes zusammenzubringen. Wir wünschen uns außerdem, dass Kinder und Jugendliche an der Diskussion um Qualität in Beteiligungsvorhaben und an der Entwicklung von Förderstrukturen und -entscheidungen vermehrt beteiligt werden. Vorstellbar wäre zum Beispiel ein von Kindern und Jugendlichen selbst verwalteter Mikrofonds Kinder- und Jugendbeteiligung, der gute Beteiligungspraxis im Jugendmedienschutz auch finanziell unterstützt.